Austauschbar

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Oft in meinem Leben ist mir der Satz begegnet: "Ja, bin ich denn einfach austauschbar?" Meistens begegnete mir dieser Satz im Kontext der Untreue in einer Partnerschaft.

Austauschbar … gibt es das wirklich. Kann man wirklich einen Menschen gegen einen anderen Menschen austauschen? Ich glaube, man kann einen kaputten Reifen an einem Auto austauschen, oder wechseln, oder die verkalkten Heizstäbe in einer Waschmaschine gegen neue austauschen, aber einen Menschen?

Jedes Lebewesen auf dieser Erde, welches nicht vom Menschen geschaffen wurde, ist individuell. Ob es sich nun so fühlt oder nicht, ob es wirklich individuell sein wird, oder nicht. Jedes Lebewesen auf dieser Erde, welches nicht vom Menschen geschaffen wurde, ist einzigartig, es gibt es nur einmal auf der Welt, ein einziges Mal! Wenn wir uns das vorstellen, dann könnten wir sogar ein bisschen Angst vor der ungeheuren und schier unvorstellbaren Vielfalt auf unserer Welt bekommen. Oder wir sind so tief beeindruckt von diesem Gedanken und diesem Gefühl, dass wir für die nächsten Tage in andächtiges Schweigen verfallen.

Kein Baum gleicht dem anderen, kein Blumenkohl seinem Nächsten, kein Hase einem anderen Hasen, kein Mensch einem anderen Menschen. Wir sind nicht gleich – wir haben uns höchstens gleich machen lassen, oder, wir haben noch gar nicht entdeckt, dass wir anders sind!

Dadurch, dass wir uns selbst entdeckt haben, können wir auch den Anderen entdecken, der andere bin aber nicht ich. Für Empathen manchmal ein sehr schwieriger und langwieriger Prozess. Wenn wir für einen kurzen Moment mit einem geliebten Menschen verschmelzen, dann entsteht wieder etwas Neues und das ist auch immer anders. Keine menschliche Begegnung gleicht einer anderen, sie ist höchstens ähnlich, aber gleich wird sie nie sein.

Manchmal haben wir aber auch schon entdeckt, dass wir anders als die Anderen sind, möchten dies aber gar nicht sein, da wir ja um alles in der Welt dazugehören wollen – das macht Angst und oft wird ein viel zu hoher Preis dafür bezahlt, dazuzugehören, sich anzupassen an die Massen, oder auch nur einen einzelnen Menschen. Im schlimmsten Fall ist der Preis, dass dieser Mensch nie seiner Aufgabe, welche er in diesem Leben hier auf Erden hat, wirklich folgen wird, er wird nie er selbst – eine bittere Medizin – doch alle Menschen entscheiden selbst und sind für sich selbst verantwortlich.

Positionen im Leben sind austauschbar. So viele Archetypen gibt es nicht und so kommt es vor, dass häufig die gleichen Positionen eingenommen werden, oder eben auch verwechselt werden. Da gibt es zum Beispiel die Position des Vaters; später nimmt ein Freund oder Geliebter diesen Platz ein, auf dem damals der Vater stand und somit wird oft der Freund aus Versehen mit dem Vater verwechselt und auch als solcher behandelt, dabei kann er gar nicht für das herhalten oder das aushalten, was den Vater so alles ausgemacht hat, weder das positive, noch das negative – der Freund wurde also an einen vollkommenen verkehrten Platz im Gefühlsleben seiner Partnerin gerückt – denn der Freund ist jemand ganz Anderes, nur das er am gleichen Platz steht. Glück dem, der als wirklicher Freund gesehen wird und nicht als all die anderen, die auch schon auf diesem Platz gestanden haben, im Leben eines Menschen. Dies gelingt uns nicht immer, aber wir können es üben, wenn wir sehr bewusst mit dem umgehen, was uns umgibt.

Oft haben Menschen, die ihr wahres Selbst oder ihre Identität noch nicht vollständig entwickelt haben, wir könnten es auch Ego nennen, Angst vor der Selbstauflösung. Sie möchten sich nicht auflösen – es gibt auch Menschen, die dies möchten – sondern sie haben große Angst davor, auch das bisher unentdeckte gänzlich verlieren zu können, nicht mehr sie selber zu sein – dabei waren sie es noch nie in ihrem bisherigen Leben.

Jeder Mensch ist ein Stern – hat einmal Crowley dazu gesagt und auch jeder Stern ist anders, auch wenn sie von der Erde aus betrachtet, doch alle ziemlich gleich ausschauen.

Wir können uns als Menschen austauschbar fühlen, doch wir sind nicht austauschbar. Wir sind auch nicht ersetzbar, denn wir sind nichts, was von Menschenhand geschaffen wurde. Alles, was von Menschenhand geschaffen wurde, das ist austauschbar, ersetzbar, außer das Herzblut eines Künstlers hängt daran.

Kein Mensch fühlt so wie ein Anderer
Kein Mensch streichelt so wie ein Anderer
Kein Mensch fühlt sich so an wie ein Anderer
Kein Mensch denkt so wie ein Anderer
Kein Mensch lebt so wie ein Anderer
Kein Mensch handelt so wie ein Anderer
Kein Mensch liebt so wie ein Anderer
Und trotzdem ist kein Mensch allein
Außer er ist seinem Selbst untreu geworden

Jeder Mensch ist anders. Jeder Mensch ist individuell. Jeder Mensch hat seine ganz eigenen Qualitäten und seine ganz eigenen Fehler. Jeder Mensch hat seine eigene Aufgabe – ob er sie in diesem Leben wahrnimmt oder nicht.

Jeder Mensch ist ein Geschenk und manchmal können wir dieses Geschenk selbst annehmen, oder eben verkümmern lassen: unser wahres Selbst.

(2011)

 

ZeichnungPagePilgrim@troet.cafe 2023

 

Igor Warneck

Igor Warneck

Schreiben gehört seit meinem dreizehnten Lebensjahr zu mir. In der Zwischenzeit habe ich einige Bücher veröffentlicht, dann auch mal die Lust an dem Ganzen verloren und jetzt wiedergefunden.

Fotografie ist für mich das entdecken des Verborgenen, um es für meine Mitmenschen sichtbar und auffindbar zu machen.

Mein Ziel: Kreativität statt Rente – denn von der kann ich als lebenslang Selbständiger nichts erwarten. Dem Sozialstaat will ich nicht zur Last fallen und verzichte daher auf das was mir zustehen würde aus freien Stücken.

Lieber schreibe ich Texte für die Gemeinschaft – zur Unterhaltung, zum Nachdenken und gegen so manch alltäglichen Wahnsinn.

Ein Dasein als Lebenskünstler ist möglich – ich lebe es seit vielen Jahren. Wenn Du das unterstützenswert findest, kannst Du unter dem Link mehr darüber erfahren:

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